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Der Spot 21 oben zeigt, dass eine «informationslose» Verdeckung (bewegbares Objekt) die Lesbarkeit eines fragmentierten Textes erhöhen kann. Buchstabenfragmente sind oft nicht als Teile eines Ganzen erkennbar, vor allem dann, wenn sie auf Grund ihrer Umrisse dargestellt sind. Durch Überlagern eines Vordergrundes bilden sich an den Kreuzungsstellen T-Stücke, welche die vorher geschlossenen Einzelteile zu öffnen scheinen und ihnen im Hintergund mögliche, unsichtbare Fortsetzungen geben. Unser Gehirn reagiert ganz allgemein auf Verdeckungsmerkmale und nutzt ihre Information zur Bildanalyse. Durch Gruppierung dieser Merkmale wird Vordergrund und Hintergrund unterschieden und teilweise verdeckte Figuren werden als Ganzes wahrgenommen.
Verdeckungsmerkmale sind T-Anschlüsse und X-Verbindungen, welche im Bild an den Kreuzungsstellen zwischen Vordergrund und Hintergrund entstehen. Abgesehen von der Fähigkeit des stereoskopischen Sehens stehen dem Gehirn zur Unterscheidung von Figur und Grund auch diese Suchwerkzeuge zur Verfügung. Im Grosshirn werden sie durch einzelne Nervenzellen detektiert. Die T-Anschlüsse haben bei den Erklärungen zu Spot 6 und 7 bereits eine Rolle gespielt, und die X-Verbindungen waren wichtig im Zusammenhang mit den Halbtransparenzen im Anhang von Spot 1.
Betrachten Sie die Animation aus verschiedenen Distanzen und versuchen Sie in den Zwischenräumen zu lesen. Eine bessere Wahrnehmung des Effekts erreichen Sie auch, wenn Sie das Bild unscharf stellen durch leichtes Zukneifen der Augen. Animation
Neben Verdeckungsmerkmalen nutzt das Gehirn noch weitere Informationen zur Unterscheidung von Figur und Grund, zum Beispiel Perspektiven und Schattierungen. Die obige Animation zeigt ein Beispiel. Wenn die dunklen Elemente der Figur nicht zu schmal sind, kann man sie zu einem Hintergrund verschmelzen, vor welchem sich dann die hellen Zwischenräume plötzlich in Figuren verwandeln. Dieser Kipp-Vorgang ist bei unscharfem Sehen besonders deutlich. Die Dynamik zeigt ferner, dass diese Wahrnehmung schnell abläuft und unser Bewusstsein regelmässig Vorschläge für die Konstruktion von denkbaren Aussenwelten erhält. Weitere Bildmerkmale, die unser Gehirn nutzt, sind Krümmungsmaxima. Es gibt im Grosshirn Nervenzellen, die auf Krümmungsmaxima reagieren und so mutmassliche Einzelteile eines Körpers detektieren (siehe unten, Kelch von Rubin). Ganze Netzwerke von Nervenzellen sind anschliessend für die Wahrnehmung der Figur vor ihrem Hintergrund verantwortlich[3].
In dieser Figur sind die schwarzen Symbole auf Grund ihrer hohen Symmetrie besonders prägnant. Sobald aber die Zwischenräume als Figur gelesen werden, entsteht ein Wort auf schwarzem Grund. Das Gehirn wechselt hier leicht zwischen den beiden Wahrnehmungen. Der Kipp-Vorgang tritt fast spontan ein.
Dieses Schlüsselthema hat vor allem die Gestaltpsychologen des 19. und des 20. Jahrhunderts interessiert und zu verschiedenen Thesen verführt. Im 21.Jahrhundert scheint die bisweilen ein wenig doktrinäre Gestaltlehre von der langsam anwachsenden Wissenslawine der Neurophysik überrollt zu werden.
Einer der ersten Psychologen, welcher sich intensiv mit dem Thema Figur und Grund beschäftigt hat, ist der Däne Edgar Rubin. Nach ihm wurde dieser berühmte Kelch benannt[1], welcher in der Figur rechts zu sehen ist. Diese ambivalente Täuschungsfigur muss jedoch seit langem bekannt gewesen sein. Sie ist beispielsweise auf einem Bild von 1795 zu sehen. Eine Reproduktion findet man im Buch «Visuelle Intelligenz» von Donald Hoffman[2].
Es gibt zwei Interpretationsmöglichkeiten:
Entweder wird der mittlere Bildausschnitt als Objekt «Kelch» im Vordergrund wahrgenommen oder er bildet nur den Hintergrund zu zwei symmetrisch angeordneten Gesichtsprofilen.
Bei der ersten Betrachtungsweise detektiert unser Gehirn die Krümmungsmaxima der konkaven Stellen des mittleren, grauen Objekts mit Hilfe selektiver Nervenzellen, gruppiert diese und generiert so die zentrale Figur «Kelch» mit den beiden Randkonturen im Vordergrund.
Im Gehirn müssen demnach Netzwerke von Nervenzellen existieren, welche derartige Objektteile (konkave Stellen und Krümmungsmaxima) gruppieren und zu einem Ganzen zusammenfügen. Erst dann entsteht die Interpretationsidee «Kelch».
Bei der zweiten Betrachtungsweise bilden die beiden Gesichter die Figur und beanspruchen die Randkonturen für sich (vergleiche dazu Bild 9 im Anhang zu Spot 1).
Interessant ist, dass die konkaven Stellen der ersten Betrachtungsweise jetzt konvex werden und die konkaven Stellen der Figur «Gesicht» anderswo liegen. Sobald die zweite Idee dem Betrachter plausibler erscheint, verliert der Kelch Form und Kontur und tritt in den Hintergrund.
Man kann niemals beides gleichzeitig sehen.
Konkave und konvexe Elemente spielen auch bei 3-dimensionalen Darstellungen eine wichtige Rolle. Betrachten Sie die folgenden Figuren auf schwarzem Grund und versuchen Sie, ihre Gruppierung aus ringförmigen Teilen zu erraten. Das folgende linke untere Bild illustriert verschiedene Möglichkeiten der Bildgenerierung. Dieses zweidimensionale Bild hat eine wellenförmigen Trennlinie zwischen Figur und Grund. Wenn die untere Fläche eine Figur erzeugen soll, so sind die blauen Punkte ihre Elementgrenzen, andernfalls sind es die roten Punkte. Bei diesem Umschalten verwandeln sich wieder konkave Stellen in konvexe und umgekehrt.
Die strichpunktierte Achse soll Rotationsachse sein. Die wellenförmige Trennlinie soll zur Schnittfläche werden zwischen einer dreidimensionalen Figur und einem dreidimensionalen Grund. Dabei verwandeln sich die Grenzpunkte in Trennlinien zwischen den Teilen, welche zur Figur gruppiert werden sollen. Das mittlere Bild zeigt die aus der unteren Fläche entstehende Figur. Die blauen Trennlinien liegen in den Talsohlen. Mit genügend Einbildungskraft kann man sich aber auch einen barocken Lampenschirm an einer Zimmerdecke vorstellen und damit Figur und Grund vertauschen. Da die Trennlinien bei dieser Sicht falsch eingezeichnet sind, fällt das Umschalten schwer. Viel einfacher ist es, die Figuren auf schwarzem Grund zu betrachten. Die zweite Figur ist übrigens bis auf eine Drehung um 180 Grad identisch mit der ersten. Auch die rechte Figur kann mit Anstrengung wieder als Objekt an einer Decke gedeutet werden. Nach kurzer Zeit stellt das Gehirn automatisch auf die vertrautere Sicht um. Dieses unbewusste Verhalten muss mit der Grösse und der damit verbundenen Augenhöhe des Menschen zusammenhängen. Die beiden Figuren kippen bei einer Drehung um 180 Grad augenblicklich.
Die beiden nächsten Bilder zeigen von uns leicht abgeänderte Darstellungen der berühmten Schröder-Treppe von 1858[4]. Beide Figuren sind im Gegensatz zur bekannten Darstellung exakt drehsymmetrisch, so dass die Sicht von oben und unten dieselben Interpretationschancen haben.
Das erste Bild kann bei flüchtiger Betrachtung als Treppenaufsicht oder als Untersicht interpretiert werden. Bei genauerem Hinsehen scheint bei der ersten Interpretation die Verkleidung der vorderen Treppenwange versetzt zu sein, und bei der zweiten findet ein grober Verstoss gegen die perspektivische Darstellung statt. Man kann das Ganze aber auch als merkwürdige Skulpturen aus der Vogelperspektive deuten und dabei zwischen zwei weiteren Möglichkeiten wählen: Entweder bilden die beiden Wangen eine tiefe Kluft und verdecken die Enden von drei weit unten liegenden Zylindern oder sie ragen gegen den Betrachter und fassen eine gefaltete Fläche mit den kurzen Kanten gegen oben ein. Man möchte aus Erfahrung lieber die langen Kanten in der Tiefe sehen.
Das zweite Bild gehört zu den sogenannten «unmöglichen Figuren» (erste und zweite Interpretationsmöglichkeit). Als Skulpturen sind beide Interpretationen ohne Widersprüche denkbar (dritte und vierte Interpretationsmöglichkeit). Diese Beispiele zeigen, dass unser Gehirn bei der Rekonstruktion der Aussenwelt mehrfach auf die Probe gestellt wird. Eine sogenannte objektive Interpretation existiert nicht.
Die visuelle Wahrnehmung ist ein aktives Auswahlverfahren, bei dem nur der wahrscheinlichste von verschiedenen konkurrenzierenden Bildentwürfen inszeniert wird. Die bedeutungsvollsten Bildausschnitte werden dabei zur Figur. Die Interpretation «Figur» wird begünstigt, wenn der betreffende Bildausschnitt
Die nächsten beiden Bilder zeigen unter anderem den Einfluss der Farbe auf die Wahrnehmung von Figur und Grund.
In Bild 10 sind die roten Teile prägnant. Sie lassen sich mühelos zu einer zusammenhängenden Figur im Vordergrund gruppieren. Die grünen Teile hingegen lassen sich nur lokal als Figuren auf einem rotem kreisförmigen Grund deuten. Die dominanten konvexen Begrenzungen der roten Elemente ziehen diese immer wieder in den Vordergrund.
In Bild 11 lassen sich die grünen Einzelteile, obwohl sie konkav sind, eher gruppieren und vor einem grünem Hintergrund wahrnehmen. Das bombierte rote Gitter ist hier als Figur weniger stabil. Es überlässt den Rand lieber den grünen Figuren. Zusammenhängende, gleichfarbige Elemente werden eher als Grund denn als Figur wahrgenommen.
Auch in Bild 12 ist die Farbe entscheidend für die Unterscheidung der einzelnen Figuren. Ersezt man die Farben durch entsprechende Grautöne, so dominiert die weisse Fläche im Vordergrund. Die Schriftzüge «Figur» und «Grund» sind dann kaum zu erkennen.